INEX hat eine Veranstaltungsreihe entworfen die am 11. Oktober startet und bis Ende November laufen soll.
„So oder so steht die radikale Linke von heute viel stärker im Schatten des Realsozialismus, als sie sich bewusst macht. So zeugt z.B. die positive Bezugnahme auf Symbole des Sowjetkommunismus, die bei antifaschistischen Aktionen immer wieder zu beobachten ist, von einer fehlenden Auseinandersetzung mit den konkreten historischen Verhältnissen.“ (aus dem Programmheft)
Spannend wird das Ganze dann, wenn man die Diskussion und das Zurückziehen eines Interviews mit „Endstation Rechts“ dazunimmt. Dort wurden die Antworten von INEX geschwärzt, aber die Fragen blieben sichtbar:
ENDSTATION RECHTS.: Es ist ja schon ein wenig unhöflich, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten und damit im Grunde der Antwort auszuweichen. Daher würde ich vorschlagen: Sie beantworten erst meine Frage, dann beantworte ich gerne Ihre. Und ich würde meine Frage noch etwas präzisieren. Sagen wir einmal: Ein Antidemokrat ist jemand, der nicht allen Menschen das gleiche grundsätzliche Recht zur politischen Partizipation zubilligt. Wenn wir uns nun Stalin ansehen, scheint mir ziemlich sicher, dass er kein Demokrat in diesem Sinne war. Und es scheint mir ebenso zwingend, dass man ihn der politischen Linken zurechnen muss – wenn auch einer pervertierten Form. Stalin scheint mir also der Beleg zu sein, dass es linke Antidemokraten geben kann und auch gibt. Würden Sie dem zustimmen oder nicht?
Und auch drei Fragen weiter bohrt ER in der (nicht vorhandenen) Stalinwunde:
ENDSTATION RECHTS.: […] Stalin war nach meiner Auffassung eher ein Anhänger der Gleichheit, weil er die sozialen Klassenunterschiede in der Sowjetunion beseitigen wollte. Er war Anhänger der Inklusion, weil nicht mehr nur Angehörige sozial hochgestellter Schichten Karriere machen und hohe Bildung erhalten sollten, sondern nach Möglichkeit alle Menschen. Und er war Anhänger eines Universalismus, weil er dieses Gesellschaftsmodell nicht nur auf die Sowjetunion beschränken, sondern weltweit etablieren wollte. Wenn dies alles stimmt: War Stalin dann ein Linker oder nicht?
Auch später gehts nochmal um Stalin. Eben jenen, der jetzt zum Inhalt einer Veranstaltungsreihe wird. Nachtigall, ick hör dir trapsen…
der Geschlechterordnung
Veranstaltungsreiheder
Diskussionsveranstaltung mit Rüdiger Mats
Mittwoch 10. November 2010, GWZ, Raum 2.010, Beetho-
zum Mütterchen Russland
GruppeINEXzurlinken
venstr. 15, 18:30 Uhr
Rüdiger Mats lebt in Leipzig und schrieb zuletzt für die
KritikamStalinismus
1918 verabschiedete die KP die zu dieser Zeit fortschrittlichste
Zeitschrift Phase 2 über das Scheitern des Realsozialis-
Wie kapitalistisch Familiengesetzgebung der Welt, die zum Beispiel das Recht auf
mus.
Abtreibung und Scheidung beinhaltete. Auch wurde Homose-
war der Sozialismus? xualität legalisiert und die Menschen konnten zumindest in den
Städten ihre Sexualität ungezwungener ausleben. Um die Gleich-
Der Realsozialismus wurde bis ans Ende seiner Tage als lo- stellung der Frauen und Männer herzustellen, wurde 1919 das
gische Konsequenz des marxschen Sozialismusmodells, als eine Schenotdel etabliert – eine Art Behörde, die sich der Revolutionie-
notwendige Übergangsgesellschaft betrachtet, weil der Kommu- rung der Geschlechterordnungen verschrieben hatte. Dessen Auf-
Herrschaft durch Terror
nismus nicht unmittelbar zu erreichen war. In der Phase revolu- gabe war es, die Frauen aus ihrer angeblich historisch bedingten
tionärer Umgestaltung seien zwar noch nicht alle Merkmale der Rückständigkeit herauszuführen. Doch Ende der zwanziger und
bürgerlichen Gesellschaft überwunden, aber das Privateigentum Die RevolutionärInnen der Oktoberrevolution waren mit dem Anfang der dreißiger Jahre begann die Regierung unter Stalin die
an Produktionsmitteln und damit die Ausbeutung sollten bereits Ziel angetreten, eine bessere Gesellschaft frei von Unterdrü- sexuellen Freiheiten massiv einzuschränken und Homosexualität
weitgehend aufgehoben sein. ckung, Armut, Ungerechtigkeit und Ungleichheit aufzubauen. erneut unter Strafe zu stellen. Das Schenotdel wurde aufgelöst,
Ob in der Sowjetunion überhaupt so etwas wie Sozialismus Der gängigen Argumentation folgend macht es die ökonomische die Frauenfrage für gelöst erklärt und entgegen der Ansätze der
So
existierte, hängt nicht zuletzt von der Frage ab, ob sich der Cha- und gesellschaftliche Rückständigkeit Russlands der, in der Folge frühen zwanziger Jahre wurden spätestens mit der Familienge-
oder so steht die radikale Linke von heute viel stärker im Schat-
rakter der Produktion verändert hat und ob sich von den Grund- der Revolution gegründeten, Regierung der Kommunistischen setzgebung 1936, in der die Abtreibung verboten und der Aus-
ten des Realsozialismus, als sie sich bewusst ist. So zeugt z.B. die
lagen der kapitalistischen Produktion tatsächlich verabschiedet Partei allerdings unmöglich, ihre emanzipatorischen Pläne in die bau der materiellen Hilfen für kinderreiche Familien beschlossen
positive Bezugnahme auf Symbole des Sowjetkommunismus, die
wurde. Lenin schrieb selbst »Der Sozialismus ist nichts ande- Tat umzusetzen. Fest stand aber, dass es nicht in Frage kam, die wurde, traditionelle Familienbilder propagiert. Damit kehrte
bei antifaschistischen Aktionen immer wieder zu beobachten ist,
res als das staatskapitalistische Monopol, das zum Nutzen des einmal errungene Macht wieder abzugeben. So wurde zur Be- schließlich auch die klassische Mutterrolle zurück und wurde zur
von einer fehlenden Auseinandersetzung mit den konkreten hi-
ganzen Volkes angewandt wird und insofern aufgehört hat, kapi- kämpfung der KonterrevolutionärInnen die Tscheka gegründet, dominanten Form weiblicher Identität.
storischen Verhältnissen.
talistisches Monopol zu sein«. die bald zum dauerhaften Instrument der Machtsicherung durch Hat die KP die sexuelle Freiheit im Sinne individueller Freiheit
In diesem Sinne übernahm der sozialistische Staat die Planung Terror wurde. Die »Säuberungen« trafen schließlich den eigenen als eine Bedrohung ihrer eigenen Macht- und Kontrollposition
der konkreten Arbeit für etwas abstraktes Allgemeines: Zum Parteiapparat, inklusive dessen glühendste AnhängerInnen und empfunden? Oder gab es anfangs eine gemeinsame Wahrnehmung
»Wohl der Arbeiterschaft« wurde die Gesellschaft in ein einheit- erstreckten sich auf die gesamte Gesellschaft – auf Jüdinnen und der Unterdrückung, die die Beteiligung nahezu aller unterdrückten
lich agierendes Nationalkapital verwandelt. Der Staat blieb die Juden, ukrainische Bäuerinnen und Bauern und auf viele ande- Schichten und Individuen an der Revolution ermöglichte und sich
Instanz, die über das Maß und den Wert der Arbeit, den gerechten re, die meist aus nichtigen Gründen oder ohne Grund zu Opfern im Prozess der Etablierung der Macht wieder ausdifferenzierte?
Lohn und über die zu produzierenden Waren entschied. Der Re- wurden. Diese wurden in der Regel nicht nur ausgeschlossen, Oder waren die frühen, scheinbar fortschrittlichen Ideen, gar nicht
alsozialismus verstaatlichte die Produktionsmittel und ersetzte sondern in Schauprozessen verurteilt, inhaftiert oder ermordet. mehr als die größtmögliche Mobilisierung aller benachteiligter Ge-
den kapitalistischen Wettbewerb durch den Plan. Wesentliche Des Weiteren hatte die KP bereits 1918 begonnen, ein Zwangsar- sellschaftsschichten zur Eroberung der politischen Macht?
Grundelemente des Kapitalismus blieben damit jedoch erhalten: beiterInnenlager-System (Gulag) zu errichten, das unter Stalin Welche Konzepte existierten, die Familie neu zu denken? Gab
Der Druck zur Produktivität, die Bedeutung der Arbeit oder die verstärkt ausgebaut wurde und dazu diente, unliebsam gewor- es zum Beispiel eine Vergesellschaftung der Hausarbeit und Kin-
Entfremdung der ProduzentInnen von ihren Produkten. Andere dene Personen zu internieren. Doch waren die Gulags nicht nur dererziehung, welche Frauenbilder wurden diskutiert? Wieso
Elemente hatten sich entscheidend gewandelt. Dem Wegfall des Terrorinstrument, sondern auch Wirtschaftsgiganten, spielten setzt sich das traditionelle Ideal wieder durch? Und wie ist der
indirekten Zwangs durch die kapitalistische Konkurrenz folgte sie, beziehungsweise die ZwangsarbeiterInnen, spätestens seit Kampf um die Emanzipation der Frau und die sexuelle Befreiung
der direkte Zwang der Planungsstellen und des sozialistischen Ende der zwanziger Jahre für das Erreichen der wirtschaftlichen im Vergleich zu anderen, beispielsweise westlichen, Ländern zu
Betriebs. Bestand im Kapitalismus wenigstens noch die Freiheit Ziele eine entscheidende Rolle. betrachten?
im Zwang, war im Realsozialismus sogar diese Freiheit suspen- Es ist schwer zu verstehen, dass ein System, das für die Befrei-
diert – der sozialistische Zwang wurde zur Freiheit verklärt. ung des Menschen stehen will, sich willkürlich gegen eben diese
Die freie Verfügbarkeit von Gütern und eine tatsächliche wendet. Noch unverständlicher ist es, dass der Terror zu jeder
Vergesellschaftung der Produktionsmittel wurde in keinem so- Zeit praktisch jede/n treffen konnte. Begeisterte, ja fanatische An-
zialistischen Land je verwirklicht. Weder wurden der Staat abge- hängerInnen des Systems wurden genauso zu Opfern, wie Per-
schafft, noch die kapitalistischen Produktionsbedingungen von sonen, die soeben noch selbst Teil der Verfolgungsmaschinerie
Konkurrenz, Ausbeutung und Arbeitszwang. gewesen waren.